Leitlinie: Insulintherapie unter Berücksichtigung des fetalen Wachstums im Ultraschall

Auch bei Erreichen der Blutglukoseziele ist bei GDM mit einer erhöhten Makrosomierate zu rechnen. Die Makrosomierate kann zwar durch eine sehr strenge Blutzuckereinstellung weiter gesenkt werden, dies ist jedoch bei zwei Dritteln der Schwangeren nur mit einer Insulintherapie möglich. (Langer 1989 EK IIb). Da der Großteil der Feten bei Gestationsdiabetes der Mutter auch ohne Therapie keine erhöhten perinatalen Komplikationen aufweist (Crowther 2005 EK Ib; Landon 2009 EK Ib), würde eine Behandlung von zwei Dritteln der Schwangeren mit Insulin zu einer unnötigen Behandlung einer großen Gruppe von Schwangeren führen. Eine ungezielte und zu strenge Blutglukoseeinstellung führt außerdem zu einer unerwünscht hohen Rate an Wachstumsretardierungen, wie eine deutsche Studie zeigte: 20% SGA-Neugeborene insgesamt, bei adipösen Frauen sogar 28% (Kessel 2007 EK III).

Normalisierung des Wachstums ist jedoch ein wichtiger Parameter nicht nur in Hinsicht auf die akuten geburtshilflichen Parameter sondern auch für die Langzeitmorbidität, da makrosom geborene Kinder von Müttern mit GDM ein erhöhtes Risiko für Adipositas (Schaefer-Graf 2005 EK IIb) und ein metabolisches Syndrom haben (Vohr 1997 EK IIb).

Es wäre sinnvoll, gezielt nur bei den Schwangeren mit GDM eine Insulintherapie durchzuführen, deren Feten ein hinreichend quantifizierbares Risiko für eine diabetogene Fetopathie haben. Anhand der mütterlichen Blutglukosewerte ist dies nur unzureichend möglich, da die im Fruchtwasser gemessen fetalen Insulinwerten eine nur schwache Korrelation mit den mütterlichen Blutglukosewerten zeigen (Kainer 1997a EK IIb).

In vier randomisierten Interventionsstudien wurden nicht invasive Methoden zur Erfassung des Risikos anhand von fetalen Parametern evaluiert. (Buchanan 1994 EK Ib, Kjos 2007 EK Ib; Schaefer-Graf 2004 EK Ib, Bonomo 2004 EK Ib). Als Referenzgröße wurde der fetale Abdominalumfang (AU) im 3. Trimenon gewählt, der sich als prädiktiv für ausgeprägten Hyperinsulinismus (Kainer 1997b EK II b; Schaefer-Graf 2003 EK IIb) und LGA bei der Geburt erwiesen hat (Bochner 1987 EK III; Landon 1989 EK III).

Die AU-Messung erfolgt standardisiert im Querschnitt auf der Höhe der Einmündung der Vena umbilicalis in die Leber (Hadlock 1984 EK IV). Allen Studien ist gemeinsam, dass die Blutglukose-Zielwerte entsprechend der Größe des fetalen AU modifiziert wurden. Bei einem AU >75. Perzentile wurde die Therapie intensiviert, in dem zusätzlich zu den Basismaßnahmen Insulin gegeben wurde, um niedrigere Blutzuckerzielwerte (nüchtern <80 mg/dl [4,4 mmol/l] statt <90 mg/dl [5 mmol/l], 2 Stunden postprandial <110 mg/dl [6,1 mmol/l] statt 120 mg/dl [6,7 mmol/l]) zu erreichen. Bei normalem Wachstum des fetalen AU wurden hingegen höhere mütterliche Blutzuckerwerte (Bonomo 2004 nüchtern bis 100 mg/dl [5,6 mmol/l], 2 h postprandial bis 140 mg/dl [7,8 mmol/l]; Kjos und Schaefer-Graf 2007 nüchtern bis 120 mg/dl [6,7 mmol/l] und postprandial bis 200 mg/dl [11,1 mmol/l]) toleriert, bevor zusätzlich eine Insulintherapie eingesetzt wurde.

Bis zu 42% der Schwangeren erhielten durch dieses modifizierte Vorgehen eine andere Therapie als durch die traditionell ausschließlich an mütterlichen Blutglukosewerten orientierten Strategie (Schaefer-Graf 2003 EK Ib). Es konnte bei bis zu 38% der Frauen mit Hyperglykämie auf eine Insulintherapie verzichtet werden (Kjos 2007 EK Ib), bei 24% der Frauen mit Normoglykämie wurde Insulin aus fetaler Indikation gegeben (Schaefer-Graf 2003 EK Ib). Bei Kindern aus der Hochrisiko-Gruppe mit fetalem AU >75. Perzentile während der Schwangerschaft war die Rate an LGA, Sectiones und neonataler Morbidität deutlich niedriger als in der konventionellen Gruppe. In der Niedrigrisiko-Gruppe mit AU <75. Perzentile traten trotz Verzicht auf Insulintherapie Sectiones oder neonatale Morbidität nicht häufiger auf, es gab aber deutlich weniger wachstumsretardierte Kinder. Eine Meta-Analyse der vier Studien mit insgesamt 550 Schwangeren ergab eine signifikante Reduzierung der LGA-Rate unter modifizierten Management (16,7 vs. 8,1%, p=0,003) und eine deutliche, klinisch relevante, wenn auch statistisch nicht signifikante Verminderung von SGA-Neugeborenen (11,2% vs 6,9%, p=0,087) (Kjos 2007 EK Ia).

Das Ziel dieses modifizierten Therapiekonzeptes ist eine Verbesserung der neonatalen Situation in Kombination mit einer möglichst weitgehenden Entlastung der Mütter. Dies bedeutet jedoch, dass beide Aspekte umgesetzt werden müssen: 1) Intensivierung mit strenger Blutglukose-Kontrolle bei Tendenz zu Makrosomie und 2) Tolerierung einer moderaten Hyperglykämie bei normalem Wachstum. Eine einseitige Anwendung führt zu einer Erhöhung der Insulinisierungsrate und erhöhtem Risiko für eine fetale Wachstumsretardierung (Kessel 2007 EK III).

Eine vergleichende Studie, die das neonatale Ergebnis bei modifiziertem Management und einmaliger Ultraschalluntersuchung mit 32 SSW vs. Untersuchung mit 28 und 32 SSW verglichen hat, kam zu dem Ergebnis, dass bei Interventionsbeginn >32-34 SSW sich das fetale Wachstum nur noch sehr begrenzt beeinflussen lässt, wenn bereits eine fetale Makrosomie besteht (Rossi 2000 EK Ib).

Eine Longitudinalstudie bei 2000 Schwangeren mit GDM , bei denen in dreiwöchigen Abständen der fetale AU gemessen wurde, zeigte, dass bei Schwangeren ohne Risikofaktoren für neonatale Makrosomie (Identifizierte Risikofaktoren: BMI >30 kg/m2, Z.n. Geburt eines LGA-Neugeboren, Nüchtern-BZ >100 mg/dl [5,6 mmol/l] im Tagesprofil bei Therapiebeginn) mit zwei konsekutiven Ultraschalluntersuchungen im frühen 3. Trimenon 95,5% aller Fälle mit Entstehung eines AU >90. Perzentile im Laufe der Schwangerschaft erfasst werden konnten. Bei einem normalen AU mit 24-27 und 28-31 SSW wurden bei Frauen ohne Risikofaktoren 92,5% der Kinder mit normalen Geburtsgewicht geboren, weitere Ultraschalluntersuchungen erhöhten den prädiktiven Wert nicht (Schaefer-Graf 2010 EK IIb).

Die Genauigkeit und Reproduzierbarkeit (Intra- und Interuntersuchervariabilität) von ultrasonografischen Messungen des fetalen AU hängt von der Erfahrung des Untersuchers, dem BMI der Mutter, der intrauterinen Lage des Kindes und dem Gestationsalter ab. Im frühen 3. Trimenon ist die Abgrenzbarkeit und regelrechter Einstellung des AU besser als am Entbindungstermin, dennoch empfiehlt es sich - um den Messfehler möglichst gering zu halten – drei (!) konsekutive Messungen durchzuführen und den errechneten Mittelwert zu verwenden.

Bei den bisherigen Studien wurde nicht berücksichtigt, ob es sich um ein symmetrisch übermäßiges Wachstum handelt, bei dem alle drei Maße >75. Perzentile lagen oder ob isoliert nur das Abdomen vergrößert war. Bei Ausschluss eines Terminfehlers ist bei Ersterem eher von einer genetisch bedingten und nicht diabetesassoziierten Makrosomie auszugehen. Dies sollte bei der Entscheidung über eine Insulintherapie berücksichtigt werden.

Die Anwendung der bei Kjos und Schaefer-Graf unter Studienbedingungen sehr hoch angesetzten Obergrenze der tolerierten Blutglukose-Werte bei normalem Wachstum ist unter Bedingungen der Routineversorgung nicht zu empfehlen. Für die praktische Umsetzung des Managementkonzeptes ist die Orientierung an der Studie von Bonomo sinnvoll, der je nach fetalem AU modifizierte nüchterne Blutglukosezielwerte um 10 mg/dl (0,6 mmol/l) oberhalb/unterhalb des empfohlenen nüchternen Zielwert <90 mg/dl (5 mmol/l) festlegte und bei den postprandialen Werten um 20 mg/dl (1,1 mmol/l) nach oben bzw. unten von der Empfehlung (2 Std. <120 mg/dl [6,7 mmol/l]) abwich (Bonono 2004 EK Ib). Der Nutzen des differenzierten Vorgehens je nach symmetrischer oder asymmetrischer Makrosomie ist bisher noch nicht durch kontrollierte Studien belegt. Das vorgeschlagene Konzept findet entsprechend dem Design der Studien erst ab 24 SSW Anwendung. Vor 24 SSW ist die Ansprechbarkeit des fetalen Pankreas und dementsprechend die fetale Insulinbildung zu wenig ausgeprägt, um über die Bildung von abdominellem subkutanem Fettgewebe und Vergrößerung der insulinsensitiven Abdominalorgane zu einem vergrößerten AU zu führen.

Das GDM-Management unter Einbeziehung des fetalen Wachstums erfordert eine enge Kooperation und zuverlässige Befundübermittlung (Eintragung der AU-Perzentile in den Mutterpass) zwischen Gynäkologen und Diabetologen.
Abb.3.1 Empfehlung für praktisches Vorgehen der Therapieführung mit Berücksichtigung des fetalen AU (AU=Abdominalumfang des Fetus). Als Hinweis auf ein asymmetrisches Wachstum gelten z.B. die Maße des fetalen Kopfumfangs und der Femurlänge <90. Perzentile bei einem AU >75. Perzentile.

EMPFEHLUNGEN:

(1) Bei der Indikationstellung zur Insulintherapie soll das Wachstum des fetalen Abdominalumfangs, der mit den fetalen Insulinspiegeln korreliert, möglichst immer berücksichtigt werden (Härtegrad A).

(2) Eine Modifikation der Blutglukose-Zielwerte in Abhängigkeit vom Wachstumsmuster des Feten soll sowohl eine Über- als auch eine Untertherapie der Schwangeren vermeiden helfen (Härtegrad A).

(3) Von den Schwangeren mit GDM gemessene Blutglukose-Selbstkontrollwerte sollen zur Therapiesteuerung möglichst immer zeitnah mit fetalen Wachstumsparametern abgeglichen werden (Härtegrad A).

Quelle: S3 Leitlinie Gestationsdiabetes AWMF Register Nr. 057/008 von 8/2011, Seite 47-50